Wenn die Jungen flügge werden …

Co-Gründer Klaus Candussi zu den Veränderungen im Verein atempo

Plötzlich sind zwei Zimmer leer, das Getrappel im Haus ist weniger geworden, die Zahl benutzter Kaffeehäferln in der Abwasch auch. Ein letztes „Ihr macht das, ihr schafft das schon!“, klingend nach einer Mischung aus Beschwörungsformel und Überzeugung – und fort sind sie, die Jungen.

Vergleiche zwischen Familienleben und Firmenwirklichkeit mochte ich eigentlich nie besonders. Nein, die meisten Menschen, mit denen ich zusammenarbeite, sind nicht meine Familie. Das heißt ja nun nicht gleich, dass ich sie nicht sympathisch finden darf, aber die Basis unserer Beziehung ist nun mal grundlegend anders. Nicht ganz ohne Verwunderung beobachte ich jetzt also mich selbst, wenn ich zur Beschreibung der formalrechtlichen Abnabelung zweier atempo Geschäftsfelder die Familien-Metapher verwende.

Was ist passiert?

Ganz trocken und formell ausgedrückt: Der Verein atempo, dessen Obmann ich bin, verkaufte erfolgreich mit Jahresende 2021 zwei von ihm entwickelte Produkt-Marken. capito und nueva befinden sich damit nicht mehr im Besitz des Vereins.
Oder im obigen Bild bleibend: Jener Verein, den ich vor zwanzig Jahren gemeinsam mit Walburga Fröhlich und mit geburtshelferischer Assistenz von Helmut Schinnerl gründete, entlässt zwei seiner Kinder aus der elterlichen Obhut ins selbständige Erwachsenenleben.

Hofübergabe

Auch eine andere Metaphern-Variante bietet sich zur Beschreibung an: Als Kind wollte ich nie Pilot oder Polizist und nur kurzzeitig Müllmann werden. Meine Wunschberufe hießen immer Landstreicher oder Bauer. Aus der landwirtschaftlichen Perspektive gesehen, sind wir - Bäuerin, Bauer und Großknecht - also im Stadium der Hofübergabe angelangt. Wir haben auf unserem Hof klassische Produkte angebaut (mit teilweise neuen Anbau-Methoden), daneben aber auch mit alternativen Pflanzen experimentiert. Mindestens zwei davon sind richtig schön aufgeblüht.
Nicht zuletzt deshalb, weil auf unserem Hof mittlerweile viele, agrarisch bestens ausgebildete Fachkräfte mitarbeiten. Denen nicht altersblöd im Weg zu ihrem künftigen Erfolg herumzustehen, das stellte sich jetzt als eine der dringlichsten Herausforderungen an mich (uns) selbst. Denn, wer sich ein wenig umschaut in der Szene, kann durchaus einige Sozial-Bauernhöfe sehen, halb oder ganz heruntergewirtschaftet von Altbäuerin und Altbauer, die einfach nicht loslassen wollten und den Hof nicht und nicht den Jungen überschrieben. In dieser Ahnl-Galerie muss unser Bild nicht hängen.

Fliegt, ihr Jungen, fliegt!

Gut, diese Gefahr scheint nun gebannt; capito und nueva sind in neuen Händen. capito wird von der CFS GmbH. weiterentwickelt, nueva in damit schon erfahrenen Händen am Hof der neu gegründeten nueva GmbH.; Hofteilung war in vielen steirischen Regionen immer schon eine gern geübte Form der Nachfolgeregelung. Und als Indiz dafür, dass die Übergabe ganz gut gelang, mag dienen, dass die Jungen nicht möglichst weit wegziehen, sondern - im Gegenteil – weiterhin Wert auf sichtbare Verbindung zum Stammsitz legen: „Entwickelt von atempo“, wollen sie künftig ihren Marken hinzufügen dürfen. Das finde ich dann doch sehr nett. „Fliegt, ihr Jungen, fliegt hoch!“ ruf‘ ich ihnen zu, „wir freuen uns, euch dabei zuzusehen!“

P.S.: Ausgedinge?

Zwei Zimmer stehen leer, hieß es am Anfang. Aber Leerstand und Stillstand waren schon immer nicht das Geschäftsmodell des Vereins atempo. Schon bald werden also die Räume Platz für eine Versuchsanstalt zur Aufzucht neuer Ideen bieten. Die Leitidee einer inklusiven Gesellschaft wird auch da wieder die Richtung vorgeben. Man braucht schließlich auch noch im Alter sinnvolle Beschäftigung.
„Stay tuned!“, sag‘ ich also als Altbauer, soviel hab‘ ich von den jungen Start-Up-ern gelernt.

Portraitfoto von Klaus Candussi

Klaus Candussi, Co-Gründer von atempo

Zusammen mit Walburga Fröhlich gründte Klaus Candussi vor über 20 Jahren den Verein atempo. Heute widmet er sich als Manager dem Geschäftsfeld der Internationalisierung und treibt so die Vision einer Welt, in der alle Menschen gleichberechtigt leben, lernen und arbeiten können, voran.

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